Vulkan Chinyero: beängstigende Lavaströme und ein Wunder

von Jutta
Update:

Nur etwas mehr als 200 Jahre nach dem letzten verheerenden Vulkanausbruch auf Teneriffa, bei dem im Jahr 1706 nicht nur die Stadt Garachico, sondern auch ihr Hafen und damit das wirtschaftliche Gefüge der Region zerstört wurde, brach wieder ein Vulkan aus. Der Chinyero.

Der jüngste Vulkanausbruch auf Teneriffa fand am Chinyero statt

Der bislang letzte Vulkanausbruch auf Teneriffa begann am 18. November 1909 am Chinyero. Dieser Vulkan liegt im Nordwesten der Insel – über dem Tal von Santiago und nur wenige Kilometer Luftlinie vom Vulkan Garachico entfernt.

Der Chinyero gehört zu einer Aneinanderreihung von geologisch jungen Vulkanen, die entlang einer Linie und in einer Höhe von 1300 – 1500 Metern über dem Meeresspiegel liegen. Der von ihnen gebildete Vulkanrücken wird auch Dorsal de Abeque oder Nordwest-Riftzone genannt. Er erhebt sich in Nähe des Teide und erstreckt sich bis zum alten Vulkanmassiv von Teno.

So verlief der Ausbruch des Chinyero

Schon seit Juli des Vorjahres bemerkten die Bewohner von Teneriffa, vor allem in den Gebieten von Icod de los Vinos und Guía de Isora, einige Erdbeben. Als die Eruption des Chinyero begann, waren unterirdische Erschütterungen, Beben und steigende Bodentemperaturen zu spüren. Gegen halb drei Uhr nachmittags am 18. November 1909 öffnete sich die Erde an der nordwestliche Riftzone unter lautem Getöse und spuckte insgesamt zehn Tage lang Lava sowie eine mächtige Säule aus vulkanischem Gestein und Gasen aus.

Antikes Foto der Chinyero Eruption, aufgenommen von Antonio Ponte. | ARCHIV CARLOS COLOGAN

Die schwarze Säule aus Vulkanasche, Lapilli und Schlacke stieg bis zu 200 Meter in die Luft. Der Wind trieb sie nach Norden und verteilte die feinen Partikel über dem nördlichen Teil Teneriffas. Die Asche erreichte sogar Punta del Hidalgo in 50 Kilometern Entfernung. Die Eruptionssäule war in allen Städten im Nordwesten und Südosten Teneriffas und sogar von den benachbarten Inseln La Gomera und La Palma zu sehen, so die damaligen Chroniken.

Asche und Lapilli nach Osten, Lavaströme nach Westen

Der Ausbruch des Chinyero entwickelte sich entlang einer mehr als 500 Meter langen, in Nordwest-Südost-Richtung laufenden Verwerfung. Diese entstand an der Basis der bereits bestehenden, hufeisenförmig nach Süden offenen Montaña Chinyero.

Die Aktivität an der Spalte konzentrierte sich auf zwei Abschnitte:

  • Am südöstlichen Ende bildete sich ein Schlackenkegel mit mehrere Kratern, die kurze Lavaströme ausstießen.
  • Im Nordwesten bildete sich der Hauptkomplex des Vulkans: er setzt sich aus mehreren Kratern zusammen, die in einer offenen Bogenform ausgerichtet sind und die Eruptionsspalte begrenzen. Diese Krater setzten in explosiver Weise fast die gesamten vulkanischen Gesteine frei, die vom Wind hauptsächlich Richtung Nordosten getrieben wurden. Sie bilden den rund 80 Meter hohen Vulkankegel aus Schlacken, Lapilli und vulkanischen Bomben sowie das Feld aus erbsen- bis nussgroßen Lapilli bilden.

Zudem wurden aus den Kratern des Haupkomplexes die meiste aa-Lava ausgestoßen. Zwei der dunklen Lavaströme, die eine maximale Länge von 4,5 km erreichten und durchschnittlich 4-6 Meter mächtig waren, flossen in unterschiedliche Richtungen: der eine Richtung Norden und der andere Richtung Westen. Geleitet von der Topographie des Geländes floss der Großteil der Lava nach Westen und riss Teile des Vulkangebäudes mit sich, die heute als meterhohe Blöcke inmitten der Lavafelder zu sehen sind.

Chinyero: Der Weg seiner Lava

Sorge im Norden

Besonders zu Beginn des Ausbruchs herrschte Panik und Sorge auf der Insel, vor allem bei den Bewohner von Garachico und Umgebung. Kein Wunder, war doch die Stadt 1706 von den Lavaströmen des benachbarten Vulkan Garachico zu großen Teilen überflutet, verbrannt und fast vollständig zerstört worden. Laut Augenzeugenberichten flohen die Bewohner der Gegend erschrocken und hastig in Richtung Santa Cruz, weil sie befürchteten, dass auch die Lavaströme des Chinyero auf die Nordküste zufließen würden.

Reale Bedrohung im Westen

Der erste Lavastrom floss tatsächlich nördlich in Richtung El Tanque und Icod, erstarrte aber und bildete eine abschirmende Mauer, die die weiteren Lavaströme in Richtung Westen lenkte. So floss der Großteil der Lavaströme von den auf 1500 Meter Höhe liegenden Eruptionsmündungen hangabwärts, direkt auf die Täler von Arriba und Santiago zu und drohte die Ernten und Häuser der Region zu verwüsten.

 

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Lavaströme am Chinyero | https://www.schamuellsart.com

Die nach Westen fließenden Lavaströme trafen auf ältere Vulkane

Ältere Vulkane im Ausbruchsbiet bremsten die westlich fließenden Lavaströme ab und sorgten dafür, dass sie sich in zwei größere Arme aufgabelten. Dabei traf ein Arm auf die Montaña de la Cruz und die dahinter liegende Montaña de Estrecho, er wurde nach Nordwesten abgeleitet und stoppte nach relativ kurzer Strecke.

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Luftbild der Lavaströme am Chinyero | www.fotosaereasdecanarias.com

Der andere, mächtigere Arm floss zwischen Montaña del Estrecho und Montaña de los Poleos Richtung Westen. Auf seinem Weg traf er zunächst auf die Montaña Aguda, umfloss die Montañas Negras und traf dann auf die Montaña Bilma. Dort teilte sich die Lavazunge erneut auf: ein Arm floss in die Richtung Los Partidos de Franquis und auf die Gegend von Los Baldíos im Valle (Tal) de Arriba zu, während der andere Arm sich auf das Valle de Santiago und damit auf die Dörfer Las Manchas, Arugayo und Tamaimo zubewegte.

Das Wunder des Chinyero

Die Angst und Verzweiflung der Bewohner war so groß, dass sie die Schutzheiligen ihrer Dörfer in Bittprozessionen aus den Kirchen zu den Lavaströmen trugen.

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Die Bewohner von Tamaimo brachten ihre Schutzheiligen Santa Ana und die Jungfrau des Friedens bis zu einer etwa 7 km entfernten Anhöhe über Las Manchas. Dieses Dorf war unmittelbar von den Lavaströmen bedroht: hier war die Lava nur noch wenige hundert Meter entfernt. Die Statuen wurden vor dem vorrückenden Strom der immer näher kommenden Lava aufgestellt und die Anwohner beteten darum, dass die göttliche Fürsprache den Vormarsch der Lava aufhalten würde. Die Lava bewegte sich weiter – aber nur wenige Meter, bevor sie schließlich wie durch ein Wunder zum Stehen kam.

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Luftbild der Lavaströme über Las Manchas | www.fotosaereasdecanarias.com

An der Stelle, an der 1909 der Lavastrom auf wundersame Weise vor der Schutzheiligen Santa Ana stehen blieb, ist eine kleine Gedenkstätte errichtet worden. Sie ist als Calvario de Las Manchas bekannt. Zum Gedenken an das Wunder fürht hierhin führt alljährlich eine Prozession.

Die Bewohner von Valle de Santiago brachten ihren Schutzheiligen in einer Bittprozession nach Los Baldios, wo die Lava ebenfalls zum Stillstand kam. Auch hier wurde eine Gedenkstätte errichtet, der Calvario de los Baldiíos.

Der Ausbruch des Chinyero: die jüngste und kürzeste Eruption auf Teneriffa hat eine große historische Relevanz

Bereits nach 10 Tagen kehrte wieder Ruhe ein. Damit hält der Chinyero gleich mehrere Rekorde: als jüngste und kürzeste Eruption auf Teneriffa.

Eine große historische Relevanz hat der Ausbruch des Chinyero außerdem, denn er war der erste Vulkan der Kanarischen Inseln, über dessen Entwicklung Tag für Tag in den Zeitungen berichtet wurde – lokal, überregional und sogar international.

Der Erste, der über die die Lage am Chinyero berichtete war es Antonio Ponte Cólogan, ein Naturwissenschaftler aus La Laguna. Während viele Bewohner vor dem brüllenden Vulkan flüchteten, begab er sich genau auf den Weg dahin und traf bereits am 19. November um halb drei Uhr morgens am Chinyero ein, also rund 12 Stunden nach Beginn des Ausbruchs. Seine Beobachtungen und Rückschlüsse versendeter er per Brieftauben im Halbstundentakt an seinen Bruder in Garachico versendet. Darunter die Nachricht: 03:45 Uhr Vulkan in Expansionsphase, zwei Lavaströme fließen in unterschiedliche Richtungen. Alarmieren Sie sofort die Öffentlichkeit. Diese wichtige Information wurde bereits fünf Minuten per Telegraph an die Behörden nach Santa Cruz kommuniziert.

Insgesamt hielt sich Antonio Ponte Cólogan vom 19. November bis 5. Dezember 1909 am Chinyero auf. Er fotografierte den Kegel, beschrieb die Explosionen, ihren Rhythmus, die Höhe, die Geschwindigkeit des Lavaausbruchs und die ausgestoßenen Gase. Er zeichnete Karten des Bereichs und beschrieb die Flora und Fauna, einschließlich Vieh. Später veröffentlichte er eine historisch-beschreibende Erinnerung an diesen Vulkanausbruch. Dies war die erste wissenschaftliche Beschreibung eines Vulkanausbruchs auf den Kanarischen Inseln.

Außerdem war der Ausbruch des Chinyero der erste auf den Kanarischen Inseln und ganz Spanien, der nicht nur fotografiert, sondern auch gefilmt wurde. Diese Filmaufnahmen gelten als die ersten bewegten Bilder von Teneriffa, die man in anderen europäischen Ländern sehen konnte.​

Zu Beginn war der Ausbruch Chinyero besonders explosiv

Neue Studien zeigen, dass die ersten Stunden des Ausbruchs am Chinyero, die selbst Antonio Ponte Cólogan nicht dokumentiert hat, noch explosiver waren als bisher angenommen. Gespeist wurde der Ausbruch des Chinyero von einer diskreten Magmaschicht, die in der Erdkruste schnell aufstieg und in der Anfangsphase der Eruption eine ziemlich heftige pulsierende Explosionsaktivität erzeugte. Diese erzeugte den ca. 80 m hohen Schlackenkegel und den starken Niederschlag aus Lapilli und Asche über dem gesamten nördlichen Teil von Teneriffa.

Nach drei Tagen ließ die explosive Energie nach und wich der schwachen strombolianischen Explosionstätigkeit, das heißt Serien von einzelnen Explosionen mit einem zeitlichem Abstand. Insgesamt wurden während der zehntägigen Eruptionen 16 Mio. Kubikmeter basaltisches Vulkangestein ausgestoßen. Die Lavamassen des Chinyero haben mit rund 2,3 km² viel Land unter sich begraben. Infolgedessen verarmten viele Bauern, weil ihre Obstgärten verwüstet, Quellen ausgetrocknet und Ackerland verloren war. Menschen kamen beim Ausbruch des Chinyero nicht zu Tode.

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